Just keep the balance?

Just keep the balance?

Wenn es um die Frage geht, welche Fähigkeiten fürs Radfahren notwendig sind, wird oft als erstes das „Gleichgewicht halten“ genannt. Dieser reflexhafte Verweis ist verständlich, ohne Balance ist schließlich eine Fortbewegung auf zwei Rädern nicht möglich. Jedoch sehe ich dies aus zweierlei Gründen auch etwas kritisch.

Zum einen verengt die Fokussierung auf das „Gleichgewicht halten“ den Blick aufs größere Ganze. Um souverän Radfahren zu können, sind viele körperliche und mentale Fähigkeiten notwendig. So erfordert zum Beispiel das verletzungsfreie Absteigen vom Rad eine Abfolge von unzähligen kleinen, zwingend oder optional auszuführenden Einzelhandlungen. Damit das Absteigen flüssig gelingen kann, muss es viele Male in verschiedenen Varianten ausprobiert und geübt werden.

Zum anderen scheint mir mit dem „Halten“ etwas zum Ausdruck zu kommen, was so nicht der Fall ist. Beim Radfahren müssen Körper und Lenker ja keineswegs bewusst in einer bestimmten Position gehalten, also fixiert, werden. Vielmehr ist es notwendig, während der Fahrt kleine (und am Anfang auch noch größere) automatische Ausgleichsbewegungen auszuführen. Richtiggehend spricht Radfahrcoach und Begründer von moveo ergo sum, Christian Burmeister, stattdessen auch vom „Autopiloten“. Von etwas, dass beim Fahren automatisch abläuft, es steuert und lenkt. Eine Fähigkeit, deren Ausprägung in den neuronalen Netzen unseres Gehirnes zwar mit Übungen auf Roller und Fahrrad stimuliert, aber nicht bewusst kontrolliert werden kann. Etwas, dass man Menschen nicht „beibringen“ kann und bei dem Hilfe (sei es in Form von Stützrädern oder seitlichem Festhalten) kontraproduktiv ist.

Und genau da ist ein Punkt, der nach meiner Wahrnehmung viele Menschen am Radfahren gleichermaßen fasziniert und beängstigt. Wenn wir Radfahren wollen, dann dürfen wir eben gerade nicht versuchen, genau zu planen, wie das Fahrrad in Balance gehalten werden kann. Wir müssen weg vom „Vorher-sagen-und-Kontrollieren“ und hin zum „Spüren-und-Antworten“.

Beim Radfahren nehmen wir mit unseren Sinnen bewusst und unbewusst viele Informationen auf und passen uns ständig an die vor uns liegende Realität an. Die große Herausforderung besteht darin, die starre Illusion der Kontrolle loszulassen. Dies ist nicht leicht und gilt beim Radfahren genauso wie im Leben.


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